«Lieber Josef», würde ich gern noch einmal sagen, «es hat mich sehr gefreut, mit dir am Sonntag, bei uns vor dem Haus, ein paar freundliche Worte zu reden.» Nur kann ich es nicht, weil ich nicht weiss, wo der Josef zu Hause ist. Ich glaube «Markdorf» hat er gesagt, «in der Nähe von Friedrichshafen». Worauf ich zu ihm sagte: «Dann können wir reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, weil wir uns ja verstehen über das ‘Schwäbische Meer’ hinweg.» Der Josef, den ich meine, kommt also aus dem Linzgau, wie Google Maps mir zeigt. Ich kenne den Josef nicht wirklich, aber trotzdem war es schön, ihm zu begegnen und ein paar Worte mit ihm zu reden. Ein Wort von Narr zu Narr. Und das kam so: Bei uns im Dorf waren die Narren los, wie überall in dieser Zeit, zwischen Dreikönigen und Aschermittwoch. «Fasnacht» sagen wir, und «Fasnet» sagen sie drüben, ennet dem Bodensee.
Die Siebner Röllizunft ist eine der 69 Zünfte, die, mit 70'000 aktiven Fasnächtlern rund, Europas grösste und älteste Fasnachtsvereinigung bilden. So stand es in der Zeitung, als man den Grossanlass bei uns im Dorf vorstellte: «Landschaftstreffen Bodensee-Linzgau-Schweiz». 4'000 Narren aus Deutschland und aus der Schweiz. Ein Umzug am Sonntag, mit Start bei uns vor dem Haus. Und weil Narren nicht nur trinken … Die Organisatoren haben vorgesorgt. Zwei von den praktischen Häuschen stehen auf unserem Parkplatz. Also alles klar für die Narren, falls sie einmal müssen … Aber trotzdem gibt es Narren … Was die zwei bei uns im Garten … Mich packt die Wut, ich renne raus und schicke die zwei … zu Teufeln, Hexen etc. und was sich noch alles tummelt auf der Strasse und auf dem Platz, und ich ihnen hinterher, um Anstand anzumahnen … Ob es etwas hilft?
Lohnend war es trotzdem, dass ich den beiden … weil auf dem Weg zurück … «Recht so», sagt der Mann zu mir. «Narrendisziplin», das sage er gern in solchen Fällen, ob in Deutschland oder in der Schweiz. Auch einem Narren sei nicht alles erlaubt. Der Josef ist ein freundlicher Mensch, er hat ein herzliches Lachen. Er dürfe doch «du» sagen, sagt er. «Natürlich», sage ich, «von Narr zu Narr». Wir seien ja immer alle irgendwie auch Narren, sage ich noch. Ob ich da der Chef sei, fragt er und zeigt auf das Schild an der Wand. Den Anwalt Küttel meint er. Ich sage ja, und er erzählt von seiner Nichte, die auch eine Anwältin werde. Sie habe ihm von einem Fall erzählt, der ihm mehr als närrisch erscheine. Da habe einer eine Kaffeemaschine, billig, im Internet gekauft, gegen Vorauskasse natürlich. Im Pack, das er bekam, seien Steine gewesen, dem Gewicht der Maschine entsprechend. Jetzt habe der Käufer das Geschenk. Jetzt müsse er beweisen, dass er die Kaffeemaschine nie geliefert bekam. Närrisch sei das fürwahr, eine närrisch-verrückte Welt, da sind wir beide uns einig. «Und das nur wegen ein paar Euro», sagt er noch, «die einer sparen will, statt dass er im Laden kauft, wo alles klar wäre. Ganz einfach, wie man das so macht, beim Kauf einer Kaffeemaschine. Im Laden mit Käufer und Verkäufer … Warum eigentlich nicht?!»
Wie gesagt: Der Josef und ich sind uns einig. Aber der Josef und ich sind eine Generation … Wir kommen in die Jahre, und das mit dem Kaufen im Internet … Wenn es auch anders geht … Wie in den alten Zeiten, die noch gar nicht so alt … Für uns beide auf jeden Fall … Dann gibt ein Wort das andere. Von seiner Nichte zu meinen Enkeln, mit denen ich unbedingt einmal mit der Furka-Dampfbahn fahren müsse. Das wäre für meine Enkel ein Ereignis. Der Josef strahlt, während er das sagt. Was er beruflich mache, frage ich. Eigentlich sei er ein Bauer, «aber der kann alles», sagt der Kollege, der sich zu uns gesellt, auch er im Narrengewand – «im Häss», wie sie am Bodensee sagen. Also an der Furka-Dampfbahn helfe er, da sei er immer dabei, wenn es im Frühling darum gehe, die Brücken für das Bahntrassee zu montieren und im Herbst sie abzubauen, damit der Schnee sie im Winter nicht zerstört. Auf dieser Strecke sei ich als Kind schon gefahren, sage ich, als das noch eine normale Bahnverbindung war, nicht eine nostalgische Touristenattraktion oder ein «Spielzeug» für uns Männer. Und apropos Enkel sage ich: Erst eine Enkelin hätte ich, und die sei noch zu klein … «Dann nimm das Kind der Nachbarn mit», gibt mir Josef zu bedenken … und so geht es hin und her. Dann wird mir allmählich kalt, weil ich in Hemd und Hose … In meinem Furor … Für den Moment war mir warm … Und das Gespräch mit Josef … Aber Winter war es trotzdem, und so sagte ich: «Habt einen schönen Umzug», und: «Es hat mich sehr gefreut, ein paar Worte mit dir … Vielleicht ein anderes Mal … Vielleicht einmal an der Furka.»
Und dann stehe ich im Haus am Fenster, und unten winkt ein Narr – jetzt hat er die Maske auf, sein Lächeln kann ich ahnen –, und ich winke und lächle zurück. Dann dreht er sich um, und er und seinesgleichen nehmen den Umzug unter die Füsse, mit der Nummer 40, nach fast zwei Stunden Warten. Und danach noch einmal 10 oder 15 Nummern, und dann ist die Putzequipe dran. Zeit für mich für die Zeitung: «Krypto-Krieg» im «Krypto Valley» Zug heisst es da. Es geht um ein «Start-Up-Unternehmen namens …», das «über eine Stiftung in den Händen von …». 20 Millionen Dollar habe man sammeln wollen, und jetzt seien daraus 800 oder 900 Millionen geworden, weil «der Wert der Kryptomünzen explodiert» sei. Und jetzt würden die «Gründer» und die «Stifter», mit Anwälten zuhauf, um die «Kryptogelder» kämpfen … Um die «Kryptogelder», was immer das … Das will ich jetzt ergründen. Ich google «kryptisch» und erhalte als Antwort: «Geheimnisvoll und unklar und daher schwer zu verstehen». Und in eine Redewendung gefasst: «Was wollte er uns mit seiner kryptischen Andeutung nun sagen?»
Was ich hier sagen will: Hiessen diese Dinger vor nicht so langer Zeit – als es die Computer noch nicht gab – diese Dinger also, die beim «Schürfen» halfen, hiessen die nicht «Letters»? Und die «Gründer» und die «Stifter», waren das nicht die «Könige» von diesem «European Kings Club»? Und dann standen sie vor dem Gericht? Aber wahrscheinlich ist das mit dem «Krypto» jetzt etwas ganz anderes. Halt «kryptisch», weil ich es nicht verstehe … Und vielleicht war es ja auch damals … das mit diesen «Letters» … Vielleicht war das … in Wirklichkeit nur kryptisch, und wir Juristen verstanden es einfach nicht, weil: «Krypto» ist halt einfach das, was wir Narren, der Josef und ich zum Beispiel, nicht verstehen, weil es kryptisch, halt schwer zu verstehen ist … Das ist jetzt meine Erkenntnis! Und dabei, wenn man bedenkt, hat das alles angefangen, als zwei in meinem Garten … Wieder einmal kann ich sagen: kleine Ursache, grosse Wirkung!